Der Bundesgerichtshofs hat mit Beschluss vom 19.5.2020 einen in Rechtsprechung und
Literatur seit Jahren geführten Streit im Arzthaftungsrecht entschieden. Der Umfang der
ärztlichen Aufklärungspflicht kann demnach Gegenstand eines Sachverständigengutachtens
im Rahmen eines selbstständigen Beweisverfahrens sein.
Der Patient hatte im Streit um mögliche Behandlungsfehler ein selbstständiges
Beweisverfahren gegen eine Klinik eingeleitet. Zwei seiner Beweisfragen bezogen sich auf
ärztliche Aufklärungspflichten: Aus medizinischer Sicht sollte der Gutachter beantworten, „ob
es hinweispflichtige Risiken gegeben habe“ und ob „echte Behandlungsalternativen“
existierten, auf die der Anspruchsteller auch hätte hingewiesen werden müssen. Angefügt
waren Erläuterungen zum rechtlichen Kontext, die das Gericht nach eigenem Ermessen zur
Aufklärung des Sachverständigen verwenden sollte.
Sowohl das LG Freiburg als auch das OLG Karlsruhe wiesen diese Beweisfragen zurück. Sie
müssten der Ursachenklärung eines Personenschadens im Sinne des § 485 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2
ZPO dienen. Fragen zum Umfang von Aufklärungspflichten seien grundsätzlich nicht
zielführend, da hier nur „abstrakte Vorfragen“ geklärt würden. Das Gutachten könne die
wirklich entscheidende Frage – was konkret zwischen Arzt und Patient besprochen wurde –
nicht klären. Damit wäre es auch ungeeignet, einen Impuls in Richtung außergerichtlicher
Einigung zu geben. Im Übrigen sei es auch unzulässig, Teile des Beweisantrags in das Ermessen
des Gerichts zu stellen.
Der VI. Zivilsenat hob die Entscheidungen der Vorinstanzen auf und steckte den rechtlichen
Rahmen für die Begutachtung ärztlicher Aufklärungspflichten ab. Das OLG Karlsruhe habe
korrekt gesehen, dass für rein abstrakte Fragestellungen im Beweisverfahren kein Platz ist. Aus
Sicht des Senats fällt allerdings der Umfang der Aufklärungspflicht nicht darunter. Zunächst
seien die konkreten Diagnosen der Ausgangspunkt, von dem aus Risiken oder mögliche
Alternativen abgeschätzt werden müssten. Ferner sei anerkannt, dass das Gutachten nicht
unmittelbar zu abschließenden Ergebnissen führen müsse, um als Frage zulässig zu sein.
Schließlich könnten die Parteien abschätzen, ob die hiernach notwendige Aufklärung später
nachweisbar wäre oder man besser einen Vergleich suchen solle. Damit stellten die Richter
den Zusammenhang zum Ziel des selbstständigen Beweisverfahrens, der Förderung einer
außergerichtlichen Regelung, her.
Bezüglich der Erläuterungen wies der BGH darauf hin, dass das Gericht innerhalb des
Beweisthemas dem Sachverständigen Erklärungen zu Beweisfragen geben darf. Dabei dürfe
es sich sowohl vorformulierter Vorschläge als auch eigener Worte bedienen. Die
Erläuterungen definierten aber nicht das Beweisthema.