Die Hofabgabepflicht für Landwirte als Voraussetzung eines Rentenanspruchs verstößt ohne Härtefallregelung mangels Verhältnismäßigkeit gegen Art. 14 Abs. 1 GG. Außerdem ist die Abhängigkeit des Rentenanspruchs des einen Ehepartners von der Hofabgabe durch den anderen Ehepartner nicht mit Art. 6 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 2 GG vereinbar. Dies hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 23.05.2018 auf zwei Verfassungsbeschwerden hin (Az.: 1 BvR 97/14, 1 BvR 2392/14) entschieden. Das Gericht moniert zudem eine grundsätzliche Unzumutbarkeit der Hofabgabeklausel infolge einer – noch nicht angegriffenen – Gesetzesänderung, die dazu geführt habe, dass nur noch eine Minderheit von 36% der Landwirte von der Hofabgabepflicht betroffen sei.
Die Alterssicherung der Landwirte ist die berufsständische Altersvorsorge der Landwirte in Deutschland. Sie ist Teil der gesetzlichen Rentenversicherung. Gesetzliche Grundlage ist das Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte (ALG). Dieses sieht die Abgabe des landwirtschaftlichen Hofs als eine der Voraussetzungen eines Rentenanspruchs vor.
Die Beschwerdeführerin in dem Verfahren 1 BvR 97/14 ist im Jahr 1944 geboren und mit einem im Jahr 1940 geborenen Land- und Forstwirt verheiratet. Als Ehegattin eines landwirtschaftlichen Unternehmers gilt sie gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 ALG als Landwirt. Den Rentenantrag der Beschwerdeführerin aus dem Jahr 2011 lehnte der zuständige Träger der Alterssicherung der Landwirte ab, weil ihr Ehegatte bereits die Regelaltersgrenze erreicht und das landwirtschaftliche Unternehmen noch nicht abgegeben hatte. Die deswegen von der Beschwerdeführerin vor dem Sozialgericht erhobene Klage hatte – auch in der Berufungsinstanz – keinen Erfolg. Das Bundessozialgericht wies die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision und die dagegen erhobene Anhörungsrüge zurück.
Der im Jahr 1938 geborene Beschwerdeführer in dem Verfahren 1 BvR 2392/14 betreibt ein landwirtschaftliches Unternehmen. Die Landwirtschaftliche Alterskasse lehnte den Rentenantrag des Beschwerdeführers aus dem Jahr 2010 ab, weil dessen landwirtschaftliche Nutzfläche die zulässige Rückbehaltsfläche von sechs Hektar um ein Vielfaches überschritten habe und deshalb das landwirtschaftliche Unternehmen nicht abgegeben worden sei. Das Sozialgericht wies die dagegen gerichtete Klage ab. Die Berufung des Beschwerdeführers vor dem Landessozialgericht und die sich anschließende Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision hatten, ebenso wie die Anhörungsrüge, keinen Erfolg. Beide Beschwerdeführer erhoben jeweils Verfassungsbeschwerde und rügten unter anderem eine Verletzung des Art. 14 Abs. 1 GG.
Das BVerfG hat den Verfassungsbeschwerden stattgegeben und die Verfahren unter Aufhebung der Gerichtsentscheidungen an das LSG Nordrhein-Westfalen zurückverwiesen. In dem Verfahren 1 BvR 2392/14 sei der Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 14 Abs. 1 GG verletzt. Die Hofabgabeklausel greife mittelbar faktisch in das Sacheigentum des Beschwerdeführers an dem landwirtschaftlichen Unternehmen ein. Ein Rentenanspruch stehe dem Landwirt nur dann zu, wenn er das landwirtschaftliche Unternehmen entsprechend einer der in § 21 ALG genannten Alternativen abgibt. Insofern werde auf den Landwirt ein mittelbarer faktischer Druck zur Abgabe des landwirtschaftlichen Unternehmens erzeugt. Nur wenn eine Rente bewilligt werde, sei es für den Landwirt letztendlich wirtschaftlich sinnvoll gewesen, jahrzehntelang Beiträge zur Alterssicherung der Landwirte zu leisten. Bei der Nichtabgabe des landwirtschaftlichen Unternehmens erhalte er für diese Beitragsleistung keine Gegenleistung. Die geleisteten Beiträge gingen vollständig verloren. Die Wirkung des Verlustes der geleisteten Beiträge bei der Nichtabgabe des landwirtschaftlichen Unternehmens werde dadurch verstärkt, dass Landwirte nicht frei entscheiden könnten, ob sie Beiträge zur landwirtschaftlichen Alterssicherung leisten, da sie versicherungs- und beitragspflichtig sind.
Die Hofabgabeklausel (§ 11 Abs. 1 Nr. 3 ALG) sei als Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinn des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG zu qualifizieren. Der Eingriff im Rahmen der Inhalts- und Schrankenbestimmung in die durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Rechte müsse durch Gründe des öffentlichen Interesses unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt sein. Laut BVerfG verfolgt der Gesetzgeber mit der Hofabgabeklausel mehrere legitime agrarstrukturelle Ziele: die Förderung der frühzeitigen Hofübergabe an Jüngere, Entlastung des Bodenmarktes, Verbesserung der Betriebsstruktur durch die Schaffung größerer Entwicklungschancen für Wachstumsbetriebe. Die Hofabgabeklausel ist auch zur Erreichung dieser Ziele geeignet. Verfassungsrechtlich sei die Mitursächlichkeit der Klausel für den Strukturwandel in der Landwirtschaft ausreichend. Die Auswertung einer Stichprobe bezüglich des Abgabeverhaltens des Rentenzugangs in der Alterssicherung der Landwirte im Jahr 2011 habe die positiven agrarstrukturellen Effekte der Hofabgabeklausel bestätigt. Der Gesetzgeber habe auch im Rahmen seines Beurteilungs- und Prognosespielraums davon ausgehen dürfen, dass die Hofabgabeklausel erforderlich sei.
Das BVerfG moniert aber, dass die Verpflichtung zur Hofabgabe nicht in allen Fällen zumutbar sei. So sei die Grenze der Zumutbarkeit nicht mehr gewahrt, soweit das Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte keine Härtefallregelung für die Hofabgabe vorsehe. Härtefälle entstünden vornehmlich, wenn der abgabewillige Landwirt keinen zur Hofübernahme bereiten Nachfolger findet. In diesem Fall könne der landwirtschaftliche Unternehmer die Hofabgabe nur in einer der Formen vollziehen, die nicht mit einer Einkommenserzielung verbunden seien, also durch Unmöglichmachen der landwirtschaftlichen Nutzung, Stilllegung, Aufgabe des Fischereiausübungsrechts, Aufgabe des Unternehmens der Imkerei oder Wanderschäferei oder Aufforstung. Dann fehlten ein Kaufpreis oder Pachtzins zur Sicherung des Alters und die Hofabgabepflicht werde unzumutbar. Härtefälle entstünden aber auch dann, wenn das landwirtschaftliche Unternehmen zwar abgegeben werden könnte, dies jedoch nicht zu Einkünften des Landwirts führen würde, mit Hilfe derer er seinen Lebensunterhalt in Ergänzung der Rente sicherstellen könne. In diesen Fällen werde die Pflicht zur Hofabgabe unzumutbar, denn der abgebende Landwirt werde zur Erlangung der Rente gezwungen, seine andere Finanzquelle für das Alter aufzugeben oder zu reduzieren, obwohl seine Rente nur als Teilsicherung angelegt sei und die Einkünfte aus dem abgegebenen Hof dies nicht angemessen ergänzten.
Weiter führt das BVerfG aus, dass die angegriffene Regelung infolge der mit den vorliegenden Verfassungsbeschwerden nicht angegriffenen Änderung des § 21 Abs. 9 ALG zum 01.01.2016 durch Art. 3 Nr. 3 d) des Gesetzes zur Änderung des SGB XII und weiterer Vorschriften vom 21.12.2015 insgesamt unzumutbar geworden sei, weil sie inzwischen tatsächlich nur noch eine kleine Gruppe von Landwirten erfasst und ihnen damit im Vergleich zu anderen Landwirten eine unangemessene Last zumutet. Der Gesetzgeber sei bei der inhaltlichen Festlegung von Eigentümerbefugnissen und -pflichten nach Art. 14 Abs. 1 GG auch an den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebunden. Dem werde die Regelung nach der Gesetzesänderung nicht mehr gerecht. Die Neuregelung habe die Hofabgabe unter Ehegatten erleichtert. Zwar erhalte auch derjenige Ehegatte, der von dem anderen Ehegatten das landwirtschaftliche Unternehmen übernommen habe, weiterhin nur eine Rente, wenn er den Hof abgibt. Die entscheidende Änderung seit dem 01.01.2016 sei aber, dass eine Nichtabgabe des Unternehmens nur noch den Rentenanspruch desjenigen Ehegattens, der das landwirtschaftliche Unternehmen übernommen habe, entfallen lasse. Auf die Rente des abgebenden Ehegattens habe sie hingegen keinen Einfluss mehr.
Dem BVerfG zufolge ist der Gesetzgeber damit zwar einer nach Art. 6 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 2 GG unzulässigen Benachteiligung des einen Ehegatten entgegengetreten, habe jedoch ein neues verfassungsrechtliches Problem geschaffen. Denn die Abgabe unter Ehegatten sei vor allem dann von Vorteil, wenn der übernehmende Ehegatte von der Versicherungspflicht in der Landwirtschaftlichen Alterskasse befreit ist. Das landwirtschaftliche Unternehmen könne dann weiter bewirtschaftet werden, ohne dass die sanktionierende Wirkung der Hofabgaberegelung eintritt. Nach der Gesetzesänderung seien somit nur noch 21% der Landwirte völlig, nämlich alleinstehende Landwirte, und 15% der Landwirte teilweise, vor allem im Fall von Betriebsleiterehepaaren, die beide versicherungspflichtig seien, von der Hofabgabepflicht betroffen. Es sei nicht zumutbar, dass eine Minderheit von derzeit noch 36% der Landwirte unter gewichtigen Eingriffen in das Eigentumsgrundrecht für agrarpolitische Ziele einer zukunftsfähigen Landwirtschaftsstruktur in Anspruch genommen werden, obwohl sie diesen Zielen nicht näherstünden als andere. Dies müsse der Gesetzgeber bei einer eventuellen Neuregelung berücksichtigen.
In dem Verfahren 1 BvR 97/14 stellt das BVerfG eine Verletzung der Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Art. 6 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 2 GG fest. Als Ehegattin eines Landwirts gelte sie selbst als Landwirtin nach § 1 Abs. 3 Satz 1 ALG. Ihr dadurch begründeter eigener Rentenanspruch sei nach § 21 Abs. 9 Satz 4 ALG davon abhängig, dass ihr Ehegatte seinerseits den Hof abgibt, sobald er selbst die Voraussetzungen für eine Rente erfüllt. Die Abhängigkeit des Rentenanspruchs von der Hofabgabe durch den anderen Ehegatten sei verfassungswidrig. Nach Art. 6 Abs. 1 GG stünden Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Es sei deshalb dem Gesetzgeber jede an die Existenz der Ehe anknüpfende Benachteiligung untersagt.
Verfassungsrechtlich geschützt sei nach Art. 6 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 2 GG eine Ehe, in der die Eheleute in einer gleichberechtigten Partnerschaft zueinander stünden und in der die Ehegatten ihre persönliche und wirtschaftliche Lebensführung in gemeinsamer Verantwortung bestimmten. Das schließe eine einseitige Dominanz eines Ehepartners bei der Gestaltung von Rechtsverhältnissen aus, so das BVerfG. Der Gesetzgeber dürfe eine solche Dominanz nicht durch Gesetz begründen. Das gelte vor allem für die Ausgestaltung von Pflichtversicherungen, für die der mitversicherte, später rentenberechtigte Ehegatte die Beiträge selbst tragen müsse. § 21 Abs. 9 Satz 4 ALG verlasse die von Art. 6 Abs. 1 GG geschützte Bestimmung der wirtschaftlichen Lebensführung in gemeinsamer Verantwortung beider Ehepartner und gebe sie in die einseitige Bestimmungsgewalt eines der Ehepartner. Eine besondere verfassungsrechtliche Rechtfertigung für die hier bewirkte Abhängigkeit von der Entscheidung des Ehegatten über die Abgabe des Hofes sei nicht ersichtlich.