Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden, dass einem gelegentlichen Konsumenten von
Cannabis nicht sofort die Fahrerlaubnis entzogen werden darf. Stand er erstmals unter einer
seine Fahrsicherheit möglicherweise beeinträchtigenden Wirkung von Cannabis, während er
ein Kraftfahrzeug geführt hat, darf die Fahrerlaubnisbehörde in der Regel nicht ohne weitere
Aufklärung von fehlender Fahreignung ausgehen und ihm unmittelbar die Fahrerlaubnis entziehen.
In solchen Fällen hat sie gemäß § 46 Abs. 3 FeV in Verbindung mit § 14 Abs. 1 Satz 3
FeV nach pflichtgemäßem Ermessen über die Einholung eines medizinisch-psychologischen
Gutachtens zu entscheiden.
Am 21.7.2016 wurde bei dem Kläger als Führer eines Kraftfahrzeugs gegen 17:40 Uhr eine
Verkehrskontrolle durchgeführt. Bei dieser stellte sich nach Auswertung einer Blutprobe
durch die Rechtsmedizin heraus, dass der Kläger mit 1,5 ng/ml THC, 0,95 ng/ml I1-OH-THC
und ferner 21 ng/ml THC-COOH im Blut gefahren war.
Das Landratsamt entzog mit Bescheid vom 2.11.2016 unter Anordnung des Sofortvollzugs die
Fahrerlaubnis und forderte den Kläger unter Anordnung von Zwangsgeld auf, den Führerschein
zurückzugeben. Der Kläger habe durch die Fahrt die Fahreignung verloren. Er habe
gelegentlichen Cannabiskonsum und Teilnahme am Straßenverkehr nicht zuverlässig getrennt.
Gründe dafür, dass er die Fahreignung in der Zwischenzeit wieder erlangt habe, seien
nicht ersichtlich. Die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung unterbleibe
gemäß § 46 Abs. 3 FeV in Verbindung mit § 11 Abs. 7 FeV.
Gegen einen ebenfalls ergangenen Bußgeldbescheid legte der Kläger Einspruch ein. Das
Amtsgericht verurteilte ihn am 23.1.2017 wegen einer Ordnungswidrigkeit nach § 24a Abs. 2
StVG.
Den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid des Landratsamtes wies die Regierung mit
Bescheid vom 1.3.2017 zurück. Seine Klage zum Verwaltungsgericht wurde abgewiesen.
Das VG führte, wie auch schon der Ausgangsbescheid aus, dass der Kläger gelegentlicher
Cannabiskonsument sei. Dies habe er bei seiner polizeilichen Aussage selbst angegeben. Es
verwies weiter darauf, dass das Gericht der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs
nicht folge, nach der in solchen Fällen zunächst ein medizinisch-psychologisches
Gutachten angefordert werden müsse. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts wurde zugestellt
und gleichzeitig Sprungrevision zugelassen. Die Sprungrevision legte der Kläger ein.
Er verweist darauf, dass im Weg der Ermessensausübung vor der Anordnung des Sofortvollzugs
jedenfalls auf der Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens hätte bestanden
werden müssen.
Mit der Revision hat der Kläger Erfolg. Das Urteil des VG wurde vom BVerwG abgeändert
und der Bescheid des Landratsamts in der Form des Widerspruchsbescheids der Regierung
aufgehoben.
Bei gelegentlicher Einnahme von Cannabis könne die Fahreignung bejaht werden (Nr. 9.2.2.
der Anlage 4), wenn Konsum und Fahren getrennt wurden, kein zusätzlicher Gebrauch von
Alkohol oder anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen stattfinde und keine Störung der Persönlichkeit
und kein Kontrollverlust vorliegen. Dabei gölten die Bewertungen der Anlage 4
für den Regelfall. Würden allerdings Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, ob eine
Fahreignung vorliege, so fänden die §§ 11-14 FeV Anwendung. Nach § 14 Abs. 2 Nr. 3 FeV
sei die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens für die Zwecke nach Abs.
1 anzuordnen, wenn wiederholt Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr begangen wurden.
Ein gelegentlicher Konsument von Cannabis trenne den Konsum und das Führen eines Kraftfahrzeugs
nicht gemäß Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV, wenn wegen des Cannabiskonsums
die Möglichkeit einer Beeinträchtigung seiner Fahrsicherheit bestehe. Von einer solchen
Möglichkeit könne auch unter Berücksichtigung der Empfehlung der Grenzwertkommission
vom September 2015 nach wie vor ausgegangen werden, wenn eine Konzentration von THC
von 1 ng/ml oder mehr im Blutserum des Betroffenen festgestellt werde.
Der Kläger sei gelegentlicher Konsument von Cannabis und er habe gegen das Gebot verstoßen,
Cannabis und Kfz-Führung zu trennen. Ab welchem THC-Wert eine Beeinträchtigung
vorliege, sei im Wesentlichen eine Frage medizinisch-toxikologischer Natur. Die dazu in der
Vorinstanz getroffenen tatsächlichen Feststellungen müssten der jetzt zu treffenden Entscheidung
zugrunde gelegt werden. Allgemeinkundige, wissenschaftliche Erkenntnisse könnten
jedoch mit herangezogen werden.
Unter Abwägung der am Grenzwert von 1 ng/ml sich entzündenden Diskussion verbleibe es
aber dabei, dass der Senat auch heute noch diesen Grenzwert zugrunde lege. Allerdings halte
der Senat an seiner früheren Rechtsprechung (Urteil vom 23.10.2014, Az.: 3 C 3.13, SVR
2015, 194) geäußerten Auffassung nicht mehr fest.
Voraussetzung für die Verneinung der Fahreignung bei einem erstmaligen Verstoß sei die
Prognose, ob der Konsument auch künftig nicht zwischen einem seine Fahrsicherheit möglicherweise
beeinträchtigenden Cannabiskonsum und dem Führen eines Kraftfahrzeugs trennen
wird. Damit diese Prognose auf eine tragfähige, tatsächliche Grundlage gestützt werden
könne, sei in der Regel die Einholung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens erforderlich.
Das Fahrerlaubnisrecht sei Gefahrenabwehrrecht und es gehe nicht um das Sanktionieren eines
zurückliegenden Fehlverhaltens, sondern es gehe darum, künftige Risiken für die Verkehrssicherheit
auszuschalten. Der Fahrerlaubnisbehörde stehe in solchen Fällen eine Ermessensentscheidung
zu und dies sei gerade beim erstmaligen Verstoß auch die Regelungsabsicht
des Verordnungsgebers gewesen. Da dieses Ermessen nicht ausgeübt worden sei und sogleich
die Fahreignung verneint worden sei, müssten Urteil und Widerspruchsbescheid aufgehoben
werden.
Das BVerwG hat am gleichen Tag drei weitere Entscheidungen gefällt. Die entscheidenden
Kernfragen sind in allen Entscheidungen gleich (BVerwG, Urteile vom 11.4.2019 – 3 C 13.17,
3 C 9.18 und 3 C 25.17).