Auf Lebensmitteln, die aus vom Staat Israel besetzten Gebieten stammen, muss ihr Ursprungsgebiet angegeben werden. Dies hat der Europäische Gerichtshof mit Urteil vom 12.11.2019 entschieden. Stammten die Lebensmittel aus einer israelischen Siedlung in solchen Gebieten, müsse diese Herkunft noch zusätzlich angegeben werden, da anderenfalls die Verbraucher irregeführt werden könnten.
Hintergrund ist ein Rechtsstreit aus Frankreich. Eine jüdische Organisation und ein Weinbauer hatten gegen einen Erlass von 2016 geklagt, der ebenfalls eine Kennzeichnung von Produkten aus israelischen Siedlungen in den 1967 von Israel besetzten Gebieten verlangte. Der französische Erlass stützte sich auf EU-Vorgaben zur Ursprungskennzeichnung von Lebensmitteln. Der Erlass erging im Anschluss an die Veröffentlichung einer Mitteilung der Europäischen Kommission zu Auslegungsfragen über die Ursprungsbezeichnung von Waren aus diesen Gebieten. Israel hatte 1967 im Sechstagekrieg unter anderem das Westjordanland, Ost-Jerusalem und die zu Syrien gehörenden Golanhöhen erobert. Die Vereinten Nationen stufen die Gebiete als besetzt ein. Die Palästinenser fordern das Westjordanland und Ost-Jerusalem für einen eigenen Staat Palästina. Dort leben mittlerweile insgesamt mehr als 600.000 israelische Siedler.
Der EuGH stellt zunächst fest, dass gemäß den Art. 9 und 26 der Lebensmittelinformationsverordnung (EU) Nr. 1169/2011 das Ursprungsland oder der Herkunftsort eines Lebensmittels anzugeben sei, wenn ohne diese Angabe eine Irreführung der Verbraucher möglich wäre, weil bei ihnen der Eindruck erweckt würde, dass dieses Lebensmittel aus einem anderen als seinem tatsächlichen Ursprungsland oder Herkunftsort kommt. Außerdem dürfe die Angabe des Ursprungslands oder des Herkunftsorts auf dem Lebensmittel nicht so gestaltet sein, dass der Verbraucher getäuscht wird.
Der EuGH legt sodann die Begriffe „Ursprungsland“ sowie „Land“ und „Gebiet“ im Sinne der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 aus. Der Begriff des Ursprungslands in Art. 2 Abs. 3 der Verordnung werde durch einen Verweis auf den Zollkodex der Union definiert. Danach gölten als Ursprungswaren eines bestimmten „Landes“ oder „Gebiets“ Waren, die entweder in diesem Land oder Gebiet vollständig gewonnen oder hergestellt oder aber dort der letzten wesentlichen Be- oder Verarbeitung unterzogen worden seien. Dem Begriff „Land“, der im EU- und im AEU-Vertrag häufig als Synonym für „Staat“ verwendet werde, sei zur Gewährleistung einer kohärenten Auslegung des Unionsrechts im Zollkodex der Union und somit in der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 dieselbe Bedeutung beizumessen. Der Begriff „Staat“ wiederum bezeichne eine souveräne Einheit, die innerhalb ihrer geografischen Grenzen sämtliche ihr nach dem Völkerrecht zustehenden Befugnisse ausübe. In Bezug auf den Begriff „Gebiet“ geht laut EuGH aus dem Wortlaut des Zollkodex der Union hervor, dass mit diesem Begriff andere Einheiten als „Länder“ und folglich auch andere als „Staaten“ gemeint seien.
Der EuGH weist darauf hin, dass die Verbraucher irregeführt werden könnten, wenn auf Lebensmitteln der Staat Israel als „Ursprungsland“ angegeben werde, obwohl die Lebensmittel tatsächlich aus Gebieten stammten, die jeweils über einen eigenen völkerrechtlichen Status, der sich von dem des Staates Israel unterscheide, verfügten, aber von diesem Staat besetzt seien und im Sinne des humanitären Völkerrechts einer beschränkten Hoheitsgewalt dieses Staates als Besatzungsmacht unterlägen. Daher sei die Angabe des Herkunftsgebiets der fraglichen Lebensmittel im Sinne der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 verpflichtend, um zu vermeiden, dass die Verbraucher in Bezug auf die Tatsache irregeführt werden könnten, dass der Staat Israel in diesen Gebieten als Besatzungsmacht und nicht als souveräne Einheit präsent ist.
Was schließlich den Begriff „Herkunftsort“ betreffe, so ist dieser dahin zu verstehen, dass er ein bestimmtes geografisches Gebiet im Ursprungsland oder Ursprungsgebiet eines Lebensmittels mit Ausnahme der Anschrift des Lebensmittelunternehmens bezeichnet. Daher könne die Angabe, dass ein Lebensmittel aus einer „israelischen Siedlung“ in einem „vom Staat Israel besetzten Gebiet“ kommt, als Angabe eines „Herkunftsorts“ angesehen werden, soweit der Begriff „Siedlung“ auf einen bestimmten geografischen Ort verweise.
Darüber hinaus hat der EuGH entschieden, dass bei Lebensmitteln, die aus einer israelischen Siedlung in von Israel besetzten Gebieten stammen, die Angabe „israelische Siedlung“ verpflichtend ist. In diesen Siedlungen manifestiere sich eine Umsiedlungspolitik, die Israel außerhalb seines Hoheitsgebiets unter Verstoß gegen die Regeln des humanitären Völkerrechts umsetze. Ohne diese Angabe, wenn also lediglich das Ursprungsgebiet angegeben werde, könnten die Verbraucher irregeführt werden. Denn sie könnten nicht wissen, ob ein solches Lebensmittel aus einer Siedlung komme, die in einem dieser Gebiete unter Verstoß gegen die Regeln des humanitären Völkerrechts errichtet worden sei. Nach der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 müsse die Bereitstellung von Informationen es den Verbrauchern aber ermöglichen, unter Berücksichtigung nicht nur von gesundheitsbezogenen, wirtschaftlichen, umweltbezogenen oder sozialen, sondern auch von ethischen Erwägungen oder solchen, die die Wahrung des Völkerrechts beträfen, eine fundierte Wahl zu treffen. Der EuGH weist insoweit darauf hin, dass solche Erwägungen die Kaufentscheidung der Verbraucher beeinflussen könnten.