Eine Frau, die von dem Hund eines Bekannten gebissen worden war, als sie sich zu diesem hinunterbeugte, kann unter dem Aspekt der Tierhalterhaftung vollen Schadensersatz verlangen. Darauf hat das Oberlandesgericht Oldenburg in einem Beschluss vom 8.11.2017 hingewiesen. Hier habe sich eine spezifische Tiergefahr realisiert. Die Frau habe auch nicht mit dem Beißreflex rechnen müssen.
Die Klägerin war bei einem Bekannten zur Feier seines 75. Geburtstages eingeladen. Dort lief ein Hund, den der Bekannte drei Wochen vorher aus einem Tierheim in Rumänien mitgebracht hatte, frei herum. Der Hund biss der Klägerin ins Gesicht, als sie sich zu ihm herunterbeugte. Sie erlitt schmerzhafte Biss,- Riss- und Quetschwunden, musste notärztlich behandelt werden und wurde mehrfach operiert. Später verklagte sie ihren Bekannten auf Schadensersatz.
Dieser lehnte jede Verantwortung ab. Die Frau hätte auf eigene Gefahr gehandelt und den Hund begrüßt. Dabei sei sie ausdrücklich darum gebeten worden, dem Hund kein Leckerli zu geben und ihn nicht anzufassen. Zumindest treffe sie ein erhebliches Mitverschulden. Das Landgericht Osnabrück verurteilte den Mann zu vollem Schadensersatz. Dagegen legte dieser Berufung ein.
Das OLG teilt die Ansicht der LG-Entscheidung. Mit dem plötzlichen Biss des Hundes habe sich eine typische Tiergefahr verwirklicht. In einem solchen Fall müsse der Halter nur dann nicht haften, wenn sich jemand ohne triftigen Grund bewusst in eine Situation drohender Eigengefährdung begebe. Dies könne vorliegend nicht festgestellt werden.
Laut OLG steht nach der Beweisaufnahme fest, dass die Frau den Hund nicht gefüttert oder gestreichelt, sondern sich lediglich zu ihm hinunter gebeugt habe. Angesichts der Tatsache, dass der Hund auf der Feier frei herumgelaufen sei, habe sie nicht damit rechnen müssen, dass hierdurch bereits ein Beissreflex ausgelöst werde. Ein Gast dürfe bei einem freilaufenden Haustier nach Treu und Glauben damit rechnen, dass bei einem normalen Herunterbeugen zu einem Haustier dieses nicht bereits zu einem Angriff gereizt werde.
Der Klägerin sei auch kein Mitverschulden zuzurechnen. Wer einen Hund auf einer Feier frei herumlaufen lasse, könne sich nicht auf ein Mitverschulden eines Geschädigten berufen, wenn dieser bei der bloßen Zuwendung zu dem Tier gebissen werde. Es handele sich um einen adäquaten Umgang mit einem Tier. Die bloße Warnung, den Hund nicht zu füttern und nicht zu streicheln, ändere an dieser Beurteilung nichts, so das OLG. Der Hundehalter hat nach einem entsprechenden gerichtlichen Hinweis seine Berufung zurückgenommen.
OLG Oldenburg, Beschluss v. 8.11.2017 – 9 U 48/17