Die Leitende Oberärztin und der ehemalige, inzwischen pensionierte Chefarzt eines Berliner Klinikums sind wegen Totschlags zu Bewährungsstrafen von einem Jahr und sechs Monaten beziehungsweise einem Jahr und neun Monaten verurteilt worden. Das Landgericht Berlin hat es in seinem noch nicht rechtskräftigem Urteil vom 19.11.2019 als erwiesen erachtet, dass die beiden Gynäkologen während eines Kaiserschnitts bei einer 27-jährigen Patientin zunächst ein erstes gesundes Kind entbunden, dann aber deren eineiige Zwillingsschwester mittels einer Kaliumchloridinjektion bewusst getötet haben.
Dieses zweite Mädchen habe einen schweren Hirnschaden gehabt, welcher bereits im Verlauf der Schwangerschaft festgestellt worden war, weshalb sich die Eltern der Kinder für eine sogenannte Spätabtreibung entschieden hatten. Anstatt aber das Kind bereits während der Schwangerschaft im Mutterleib zu töten, wie es bei einer entsprechenden Indikation rechtlich zulässig und medizinisch möglich gewesen wäre, hätten die Ärzte zunächst den Beginn der Geburt abgewartet, um den Eingriff vorzunehmen. Nach Einsetzen der Eröffnungswehen hätten sie den Mutterleib geöffnet, das gesunde Kind zur Welt gebracht und dann das geschädigte Kind getötet, obwohl es nach Angaben eines Sachverständigen lebensfähig gewesen sei. Dies sei rechtlich als Totschlag im Sinn des § 212 StGB zu werten, so der Vorsitzende Richter in seiner mündlichen Urteilsbegründung.
Die beiden Mediziner hatten den Sachverhalt eingeräumt, sich aber dahingehend eingelassen, dass sie angesichts der medizinischen Besonderheit des Falles im Interesse des gesunden Mädchens von einem sogenannten selektiven Fetozid – der gezielten Tötung eines Zwillings im Mutterleib vor Beginn der Geburt – abgesehen hätten. Sie seien davon ausgegangen, dass ihr Handeln rechtmäßig gewesen sei, weil das Mädchen sich noch im (geöffneten) Mutterleib befunden habe, als sie die Injektion durchgeführt hätten.
Diese Angaben hielt die Kammer für nicht glaubhaft. Den Angeklagten sei als erfahrenen Gynäkologen bewusst gewesen, dass sie rechtlich nicht mehr befugt gewesen seien, das kranke Kind während des Kaiserschnitts zu töten, weil die Geburt bereits begonnen hatte. Auch habe im Zeitpunkt ihres Handels – der Injektion – keine Pflichtenkollision vorgelegen, da das gesunde Mädchen bereits geboren war und keine Gefahr mehr für es bestanden habe. Vielmehr hätten sich die Angeklagten von dem Willen der Eltern leiten lassen, dass das kranke Kind nicht zur Welt kommt, obwohl es lebensfähig gewesen sei. Ein derartiges „Aussortieren“ von kranken oder behinderten Säuglingen sei nach dem Willen des Gesetzgebers strafrechtlich aber nicht zulässig, so der Vorsitzende.
Angesichts der Besonderheiten des Falles hat die Kammer jedoch einen minder schweren Fall im Sinn des § 213 StGB angenommen. Die etwas höhere Strafe für den angeklagten ehemaligen Chefarzt begründete der Vorsitzende damit, dass es in seiner Macht als Vorgesetzter gelegen hätte, den Eingriff noch im Operationssaal zu verhindern. Anders als die angeklagte Leitende Oberärztin habe er während der Hauptverhandlung auch keinerlei Einsicht gezeigt.